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Renate Lehnort

 

Sinfonie des Teufels

 

 

 

Strümische Zeiten

4. BAND 1924 - 1938

Historischer Roman

 

 

 

 

„Der Weg zur Wahrheit ist mit Paradoxen gepflastert.“

Oscar Wild

 

 

 

Jetzt ist es soweit! schoss es Franz durch den Kopf. „Was möchtest du wissen?“, entgegnete er lauter als nötig.
„Ich möchte wissen, ob Fredo dein Sohn ist.“ 
„Wie kommst du denn auf diese Idee?“, antwortete Franz gedehnt und zündete sich umständlich eine Zigarette an. 
„Weich mir nicht aus! Ist er dein Sohn oder nicht?“
Franz inhalierte tief, stieß den Rauch aus und wusste, dass er jetzt Farbe bekennen musste. „Fredo ist mein Sohn und Carla meine Tochter“, gestand er in einem Ton, als würde er vom Wetter reden, obwohl sein Inneres in Aufruhr war. Wusste er doch, dass er mit diesem Geständnis von einer Sekunde auf die andere sein Eheleben und Antonias Liebe vernichtet hatte. 
Es folgte eine greifbare Stille. 
Antonia schnappte nach Luft, ihr Herz machte einen entsetzten Sprung. Jetzt hatte sie die Bestätigung dessen, was sie im tiefsten Inneren gewusst hatte, aber nicht glauben wollte. „Das sagst du mir einfach so, als wäre es eine Bagatelle?“, brachte sie schließlich heraus. 
„Du hast mich gefragt und ich habe dir geantwortet.“ 
Emotionen peitschten durch Antonias Körper, Trauer, Verzweiflung, Wut. Die Wut gewann die Oberhand. „Bin ich dir nicht einmal so viel wert, dass du mir erklärst, wie es dazu kam?“, schrie sie. 
„Antonia! Bitte! Genau, das wollte ich vermeiden. Ich wollte nicht, dass du dich derartig aufregst.“
„Du … du wolltest nicht, dass ich mich aufrege?“ 
„Ich werde jetzt nicht sagen, dass ich es bedaure, zwei Kinder in die Welt gesetzt zu haben. Ich habe sie nämlich sehr lieb.“ 
„Und was war mit ihrer Mutter?“, fragte Antonia mit einem feindseligen Blick. „Hast du die auch geliebt? So einfach neben mir?“
Franz schaffte es, ihr direkt in die Augen zu sehen. „Ja. Ich nehme an, dass du das nicht verstehst. Ich habe sie geliebt und dich liebe ich ebenso.“ Beim letzten Wort wurde ihm bewusst, wie erbärmlich dieser Satz in ihren Ohren klingen musste. „Versuch zu verstehen“, stammelte er. „Es hatte nichts mit dir zu tun. Es tut mir leid, dass ich dich über so viele Jahre hinweg anlügen musste, aber was sollte ich anderes tun? Hättest du es so einfach akzeptiert, wenn ich vom Krieg heimgekommen wäre und dir gesagt hätte, dass ich in der Zwischenzeit einen Sohn gezeugt habe? Mir ging es nach dem Krieg sehr schlecht – ich hatte jede Nacht Schweißausbrüche und Albträume. Von Schlaf gar nicht zu reden – da ist es passiert. Wir wohnten bei Julios Cousine, Cristina. Sie hörte mich eines Nachts laut aufschreien und nahm mich in die Arme. Ich bin nicht aus Holz – jahrelang konnte ich nur von einer Frau träumen. Sie hat mir wieder Mut gegeben, mich aufgebaut. Endlich fühlte ich wieder so etwas wie Lebenslust. Als sie mir gestand, dass sie schwanger ist, musste ich die Verantwortung für mein Kind übernehmen. Ich wollte nicht, dass sie so behandelt wird wie du.“ Er hatte hastig ohne Punkt und Absatz gesprochen.
„Das könnte ich zur Not noch verstehen. Aber du hast weiterhin mit dieser Frau eine Beziehung gepflegt! Es muss sehr anstrengend für dich gewesen sein, von einem Bett zum anderen zu wandern.“ Antonias Stimme triefte vor Sarkasmus. „Hast du sie auch so belogen wie mich?“
„Sie wusste von Anfang an, dass eine Frau in Wien auf mich wartet. Für mich gab es nie Zweifel, dass ich zu dir zurückkehren würde … weil ich dich liebe. Sie war damit einverstanden, das zu nehmen, was für sie übrig blieb. Sie hat mich so geliebt, dass sie bereit war zu teilen.“ Franz sah an Antonias Gesichtsausdruck, dass es besser gewesen wäre, über Cristinas Gefühle den Mund zu halten. Ich Idiot! Was rede ich da? Wie komme ich dazu, ihr Cristinas Empfindungen näher bringen zu wollen. Du musst sparsamer mit deinen Worten umgehen, sagte sein akademisch geschulter Verstand, während sein Herz in unregelmäßigem Takt schlug.
„Wie großzügig von ihr!“, höhnte Antonia. „Wie edel, dass sie mich akzeptiert hat. Ich liebe dich ja nicht, denn ich will dich mit keiner anderen Frau teilen. Was bin ich doch für ein egoistisches Monstrum!“
„So habe ich es nicht gemeint und das weißt du auch! Bitte schrei nicht so, du weckst sonst noch die Kinder auf.“
„Das ist mir egal, hörst du? Ganz egal! Wenn diese Frau schon so freizügig war, warum hat sie dir nicht deinen Sohn gegeben? Und wenn es dir nur um deinen Sohn ging, warum hast du dann mit ihr weiterhin Geschlechtsverkehr gehabt?“
„Ich habe weiterhin mit ihr geschlafen, weil sie meine Frau war“, platzte Franz heraus und hätte sich am liebsten in der gleichen Sekunde geohrfeigt. Jetzt ist es schon egal, dachte er, jetzt soll sie alles wissen. „Ich habe sie in Italien unter falschem Namen geheiratet.“ 
Antonia sog scharf die Luft ein, ihr Brustkorb kam ihr plötzlich zu eng vor. Nach nahezu einer Minute hauchte sie: „Du hast sie geheiratet und mich auch?“ 
Franz bemerkte, wie ihr Gesicht bleich wurde. Von Schuldgefühlen geplagt griff er nach ihrer Hand. 
Antonia zuckte zurück, als hätte sie ein ekeliges Tier berührt. 
Nein, das hatte er nicht verdient, er hatte alles dazu getan, um sie glücklich zu machen. Seine Schuldgefühle verschwanden jäh und machten einer Erbitterung Platz, die sich blitzartig und ungehemmt entlud. „Ja, ich, Franz Razak, Doktor der Rechtswissenschaften, habe Bigamie begangen“, schleuderte er ihr rücksichtslos wie einem Gegner im Gerichtssaal die Wahrheit entgegen. „Ich bekenne mich schuldig. Und weißt du auch, warum ich das getan habe? Weil eine ledige Mutter in Italien das Letzte ist. Es blieb mir gar nichts anderes übrig, als sie zu heiraten, damit sie meinen Sohn ohne Gespött der Leute aufziehen konnte. Zu deiner Genugtuung Antonia, ich hatte seither keine ruhige Minute mehr in meinem Leben. Ich habe unter meinen Lügen mehr gelitten, als du dir je vorstellen kannst.“
Es schien, als hätte Antonia seine Worte nicht gehört. „Du, du hast mich nach ihr geheiratet?“, stammelte sie. 
Franz enthielt sich jeder Äußerung. Er fühlte sich leer – ausgelaugt und leer. 
„Das ist … das ist so etwas von gemein“, fuhr Antonia kaum wahrnehmbar fort. „Du erwartest doch nicht, dass ich auch noch Mitleid mit dir habe?“
„Nein. Aber du sollst wissen, dass ich mich für all diese Lügen verabscheut habe. Ich sagte mir schlussendlich, wenn ich schon so ein verdammter Schuft sein muss, dann will ich alles dazu tun, meine zwei Frauen, die mich lieben, glücklich zu machen. Das habe ich versucht, egal was es mich an Substanz gekostet hat. Oder willst du behaupten, dass ich dich schlecht behandelt habe?“ 
Antonia schwieg – sah ihn nur an. Ihre großen blauen Augen hatten den Ausdruck eines zutiefst verletzten Kindes. 
Dieser Blick brachte Franz zur Besinnung. Sie muss für meine Liebe nicht dankbar sein, gestand er sich ein. Sie steht ihr zu. Seine Wut zerbröckelte so schnell, wie sie gekommen war. Mit einer Geste der Hilflosigkeit flüsterte er: „Bitte Antonia, verzeih mir. Ich liebe dich! Du bist mein Zuhause. Ich habe mich schon bei unserem ersten Treffen, als du nur deinen Prinzen im Kopf hattest, in dich verliebt. Wie habe ich gelitten, als du meinen Heiratsantrag abgelehnt hast, und wie unsagbar war ich glücklich, als wir zueinanderfanden. Diesen fruchtbaren Krieg habe ich nur ertragen, weil ich an dich gedacht habe.“ 
Antonia hörte seine Worte, sie berührten sie nicht – rauschten an ihren Ohren vorbei. Vor ihr saß ein Mann, der ihr fremd war. 
„Ich verstehe dich“, fuhr Franz fort, „wenn du mich jetzt verachtest, und kann dich nur bitten, nicht zu streng in deinem Urteil zu sein. Hast du wirklich noch nie eine Tat begangen, für die du dich geschämt hast? Warst du immer perfekt? Ich sah einfach keinen anderen Ausweg, als so zu handeln, wie ich es getan habe.“ Seine Stimme brach. Er fühlte sich elender als damals nach dem Krieg, als er damit fertig werden musste, so viele Menschen verwundet oder umgebracht zu haben. Jetzt hatte er den Menschen verletzt, den er über alles liebte, dem er nie ein Leid antun wollte. Die Wehmut, ihre Liebe verloren zu haben, gepaart mit der Einsicht seiner Schuld lähmte seinen Körper, lähmte seinen Geist, ließ ihn moralisch schrumpfen. Wie aus der Ferne hörte er Antonias kalte Stimme: „Wenn sie nicht gestorben wäre, hättest du dann für immer und ewig so weitergemacht?“
 „Vermutlich“, antwortete Franz zermürbt. „Ich konnte und wollte meinen Sohn und Cristina nicht verlassen. Und was Carla betrifft … Cristina wollte unbedingt ein Geschwisterchen für Fredo. Sie meinte, sie gäbe sich mit allem zufrieden, aber ich solle ihr diesen Wunsch nicht versagen. Ich dachte sowieso, dass es nicht klappen würde – sie war ja schon zweiundvierzig. Als sie schwanger wurde, war sie überglücklich und …“
„… als sie starb, hast du dich an mich erinnert. Ich bin für dich nichts anderes als eine liebe Gewohnheit, die nun auch ihre praktische Seite hat. Jetzt hattest du plötzlich den Mut für die Wahrheit, weil du mich für deine Kinder brauchst … dafür bin ich jetzt gut genug. Die Beziehung mit der Frau nach dem ersten Kind zu beenden und mir die Wahrheit zu sagen, dafür war ich anscheinend zu minder.“
„Ich wollte dir nicht wehtun! Ich habe alles dazu getan, um dich glücklich zu machen! Was die Kinder angeht – ich weiß doch, wie sehr du Kinder magst. Ich dachte, nein ich hoffte, du liebst mich so, dass du mir verzeihen kannst. Die Kinder sind auch ein Teil von mir … Es ist mir bewusst, dass ich damit sehr viel von dir verlange.“ Er pausierte. Dann fügte er hinzu: „Ich hätte dir nach einiger Zeit alles von selbst erzählt, du bist mir zuvorgekommen.“ 
„Verzeihen? Das sagst du so leicht. Wie sollte ich jemals wieder Vertrauen zu dir haben, wie dich jemals wieder respektieren und zu dir aufschauen können? Nie hätte ich gedacht, dass ausgerechnet du, der immer für Gerechtigkeit und Wahrheit gekämpft hat, jemals zu so einer Tat fähig wäre. Ich frage mich, ob ich dich jemals gekannt habe. Vielleicht habe ich einen Mann geliebt, den es in Wirklichkeit nicht gibt – ein Traumgebilde.“ Antonia verbarg ihr Gesicht in den Händen, ihre Schultern zuckten.
Wie gerne hätte Franz sie jetzt in die Arme genommen, sie getröstet. Getröstet in dem Leid, das er ihr zugefügt hatte – er wagte es nicht. „Antonia, es tut mir so leid“, sagte er leise. „Ich wollte dir niemals solchen Schmerz zufügen. Ich kann gut nachempfinden, wenn du mich jetzt hasst. Ich an deiner Stelle würde es auch tun. Strafe mich, wie du willst, aber bitte verlasse mich nicht. Ich würde ein Leben ohne dich nicht ertragen – das sage ich jetzt nicht wegen der Kinder. Ich liebe dich, ich möchte dich nicht verlieren. Bitte bleib bei mir!“
Antonia nahm die Hände vom Gesicht, das so weiß und so hart wie Marmor war. „Keine Angst“, erwiderte sie. „Ich werde dich nicht verlassen. Die armen Kinder können schließlich nichts dafür, dass sie einen verlogenen, erbärmlichen Vater haben. Für Carla werde ich ihre Mutter sein. Vielleicht hat mir Gott dieses Kind geschickt, damit ich meine Fehler an ihr gutmachen kann. Denn in einem muss ich dir zustimmen, perfekt war auch ich nicht immer. Ob ich jemals wieder Liebe und Vertrauen dir gegenüber empfinden kann, weiß ich nicht. Ich möchte, dass du in das Kabinett neben Fredo ziehst; heute kannst du auf dem Sofa schlafen …“ Sie stand auf und floh ins Schlafzimmer. 
Minuten später warf sie Franz seine Sachen vor die Füße. Er ließ sie achtlos liegen und griff mit zitternder Hand nach dem Weinglas, trank es aus und schenkte sofort wieder nach. Als die Falsche leer war, ging er in den Keller und holte eine zweite. Den Rest der Nacht verbrachte er so gut wie regungslos in seinem Sessel. Erst als der Morgen graute, seine Glieder schmerzten, seine Kehle rau von unzähligen Zigaretten war und seine Augen vor Müdigkeit brannten, ging er in die Kanzlei hinüber und legte sich dort auf das Sofa. 

 

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