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Renate Lehnort

 

Sinfonie des Teufels

 

 

 

Gegen den Rest der Welt

2. BAND 1914 - 1918

Historischer Roman

 

 

 

 

„So lang nur ein Mensch da ist, dem der Krieg Vorteil bringen kann,

und dieser eine hat Macht und Einfluss genug, diesen Krieg zu entfesseln,

ist jeder Kampf gegen den Krieg vergeblich.“

 

Arthur Schnitzler

 

Nach und nach füllten sich die Ortschaften der Umgebung mit den verschiedenen Batterien der Artilleriebrigade, der Kavallerie und der Infanterie. Der Mittelpunkt des militärischen Lebens war ein wenige Kilometer entferntes respektables Landhaus, wo sich das Armee- und Korpskommando[i] mit seinen riesigen Stäben niedergelassen hatte. Franz war mit seinem Regiment in einem kleinen, armseligen Dorf nicht weit von Lemberg stationiert. Die Unterkünfte waren primitiv, sie schliefen auf Strohsäcken und deckten sich mit ihren Mänteln zu. Die Tage waren ausgefüllt mit Gefechtsübungen, körperlicher Ertüchtigung und dem Warten auf den Krieg.

Mit innerem Bedauern stopfte Franz den letzten Bissen seines spärlichen Abendmahles in sich hinein. Er war nach wie vor hungrig, vor allem aber müde. „Mir tut jeder Muskel weh“, sagte er zu Gustav. „Heute haben sie uns besonders geschliffen.“

„Wir sind eben kein körperliches Training gewohnt, vermutlich sind wir irgendwann dankbar dafür – ich fürchte, dieses irgendwann kommt bald. Ich muss immer wieder daran denken, ob ich meinen nächsten Geburtstag noch erleben werde.“

„Das darfst du nicht sagen, nicht einmal denken. Ich frage mich, wie es wirklich im Feld, an der Front zugeht … ob ich überhaupt imstande bin, auf einen Menschen zu schießen – in der Theorie sieht alles anders aus.“ Franz legte kameradschaftlich den Arm um seine Schultern. „Wir haben alle keine Ahnung, was wie werden wird, aber eines Gustav, eines weiß ich ganz gewiss, dass wir zwei heil nach Hause kommen werden.“

 Gustav lächelte. „Dann bin ich beruhigt. Ich wusste nicht, dass du einen direkten Draht zum lieben Gott hast.“

Karl gesellte sich zu ihnen. „Ich habe gerade das Neueste erfahren: Der Feind hat unsere Grenze überschritten – morgen ist Abmarsch. Endlich!“

„Wunderbar, wir freuen uns deppert[ii]!“, erwiderte Gustav im ironischen Ton. „Endlich werden wir kämpfen! Wie ich das vermisst habe.“

Karl schüttelte den Kopf und sagte, ohne Gustav zu beachten, zu Franz: „Ich verstehe nicht, dass man solche unwilligen, alten Männer nicht lieber zu Haus lässt – sie fallen uns nur zur Last.“

„Gut, dass wir einen solch mutigen Mann wie dich unter uns haben“, antwortete Franz. „Du bist ein wahrer Held! Wirklich vorbildhaft! Und jetzt entschuldigst du mich bitte, ich habe noch ein Rendezvous mit einer schönen Frau!“ Er drehte sich um und ging hinaus.

Die Nacht an diesem 20. August 1914 war sternenklar und kalt. Franz sah wehmütig zu dem prachtvollen Sternenhimmel hinauf. Um diese Zeit würde ich in meinem Bett liegen und Antonias warmen weichen Körper an meinem spüren, dachte er. Waldemar würde wie immer auf seinem Platz neben der Schlafzimmertür liegen und mich aus seinen treuen Hundeaugen anblicken. Ich könnte glücklich und zufrieden sein. Plötzlich hatte er einen Geschmack im Mund, als hätte er bittere Medizin getrunken. Was mache ich eigentlich hier?, fragte er sich. Was geht mich dieser verrückte Krieg an?

„Hallo Franz, schläfst du mit offenen Augen? Das kann im Krieg gefährlich sein!“ Wie aus dem Boden gewachsen stand Edi vor ihm.

„Servus, Edi. Mit dir habe ich zu so später Stunde nicht gerechnet.“

„Ich wollte auch schon früher da sein, aber heute war die Ausgabe der Befehle eine besonders lange Prozedur. Die Warterei macht mich noch rasend. Zuerst müssen wir auf die Befehle vom Korpskommandanten warten, wenn die endlich da sind, berät sich der Generalstabschef mit den Offizieren, dann mit seinem Divisionär[iii] und schlussendlich wird alles penibel niedergeschrieben. Die Disposition für morgen wurde erst vor einer Stunde an die Kommandanten weitergegeben. Erinnerst du dich noch, wie das Exemplar der Disposition bei den Märschen nach vorgeschriebenem Schema aussieht?“

„Das ist mir noch gegenwärtig“, antwortete Franz schmunzelnd. „Wir haben es lange genug gepaukt bekommen: Wo ist der Feind? Wo die Truppen? Was rechts? Was links? Was ist die Absicht für den nächsten Tag? Und die Marschordnung.“

„Sehr gut, setzen!“, scherzte Edi. Gleich darauf wurde er wieder ernst. „Das ist alles so mühselig –aber was bleibt über? Der Papierkram bleibt uns auch im Feld nicht erspart. Ich bin weiß Gott müde, aber ich wollte dich vor dem Abmarsch noch sehen. Wer weiß, wann wir dann wieder die Gelegenheit dazu haben.“ Er streckte die Arme zum Himmel und gähnte lauthals.

„Es stimmt also, dass wir abmarschieren. Wann geht’s los?“

„Der Befehl zum Sammeln wird im Morgengrauen um halb fünf erfolgen – die Nacht wird kurz werden.“

„Wohin marschieren wir?“

 „Richtung Komerow[iv].“ Eine unserer drei Infanteriebrigaden[v] wird mit zwei Batterien[vi] vorausmarschieren, das Divisionskommando mit dem Gros[vii] folgen. Was dich betrifft …“ Edi zögerte. „Im Grunde ist es nicht meine Aufgabe, es dir zu sagen, aber du erfährst es sowieso morgen. Du wirst die 11. Kompanie[viii] übernehmen und bist ab morgen somit Kompaniekommandant.“

„Wie bitte? Dazu bin ich doch als Leutnant der Reserve gar nicht befähigt. Eine Kompanie wird meines Wissens von einem Hauptmann oder Major geführt – ich bin keines von beiden. Außerdem habe ich keine Erfahrung, die Theorie ist schließlich nicht mit der Praxis zu vergleichen.“

„Da geht es uns allen gleich, Franz. Du warst einer der besten bei der Ausbildung und bist auch hier bei den Gefechtsübungen aufgefallen. Man ist der Meinung, dass du weißt, wie die Kriegskunst funktioniert.“

Franz warf ihm einen ärgerlichen Blick zu.

Edi klopfte Franz, wie es seine Art war, kameradschaftlich auf die Schulter. Franz stolperte einen Schritt nach vorne. „Was regst du dich auf?“, fragte er. „Du hast doch immer gerne Verantwortung übernommen und was deinen Rang anbelangt – der ist im Krieg nicht maßgebend. Ursprünglich warst du auch nicht als Kommandant gedacht, aber uns ist einer krankheitsbedingt abhanden gekommen und da habe ich dich als Kompaniekommandanten vorgeschlagen – spar dir jeden Protest, er ist sinnlos.“ Er unterstrich seine Aussage mit einer Handbewegung. „Zu deiner Information: Du bist dem I. Bataillon unterstellt, dein Vorgesetzter ist Oberstleutnant Hermann Böhmer. Er ist scharf, aber gerecht und zu deinem großen Glück im Herzen ein Roter wie du.“

„Wenigstens etwas!“, murmelte Franz mit einem schiefen Lächeln.

„So gefällst du mir schon besser und jetzt wünsche ich dir für deinen Einsatz alles Gute! Bleib gesund und pass auf dich auf!“ Mit der Bemerkung „besser, wir holen uns jetzt noch eine Mütze Schlaf“ verschwand Edi in der Dunkelheit.

 

[i] Armee = rd. 50.000 bis 60.000 Mann (2 + Korps)

[ii] deppert = blöd

[iii] Divisionär = In der k. u. k. Armee hatten die Kommandanten von Divisionen – meist Generalmajor oder Feldmarschall-Leutnant – den Titel „Divisionär“.

[iv] Komerow = Ort im Norden von Galizien, nahe der russischen Grenze.

[v] Infanteriebrigade = Infanterie oder Fußtruppe sind zu Fuß kämpfende, mit Handwaffen ausgerüstete Soldaten der Bodenstreitkräfte. Eine Brigarde besteht aus bis zu 10.000 Soldaten (bis zu 3 Regimentern) und ist meist einer Division (2 – 6 Brigarden) unterstellt. Geführt wird sie von einem Brigadier.

[vi] Batterie = eine militärische Einheit der Artillerie mit vier bis acht Geschützen.

[vii]Gros = kommt aus der französischen Militärsprache, heißt soviel wie: Hauptteil einer Armee, Mehrheit, größter Teil.

[viii] Kompanie = ein Truppenteil von 70 bis 250 Soldaten. Sie umfasst zwei bis sechs Züge (25 bis 60 Soldaten) und wird von einem Kompaniekommandanten geführt.

In der Armee der k.u.k. Monarchie meist = 4 Kompanien (250 Mann) = 1 Bataillon (1.000 Mann), 1 Regiment  (4.000 Mann = 4 Bataillone) 

 

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