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Renate Lehnort

 

 

Durch dick und dünn

 

Wohin der Wind uns weht 

 

Band 5: 1862 -1864

 

 

BLICK INS BUCH:

 

Die Pferde trabten im Schritt nebeneinanderher. Pat wartete darauf, dass Finn etwas sagte, aber er schwieg. Auf der Anhöhe, von der man einen herrlichen Blick über das Land hatte, sagte Finn: „Erinnerst du dich noch? Das ist der Platz, von dem aus uns John unser Land gezeigt hat.“

„Natürlich, erinnere ich mich, so als wär’s gestern gewesen. Der Trask Mountain war genauso beeindruckend wie jetzt auch. Lafayette bestand allerdings damals nur aus ein paar Häusern. Pause?“

„Pause.“ Finn stieg vom Pferd und setzte sich auf die Wiese.

Pat glitt ebenfalls aus dem Sattel. „Diesen Moment habe ich herbeigesehnt“, sagte er, während er sich neben Finn setzte. „Stille, kein Gestank wie in New York, reine, frische Luft, die nach Erde, Blumen und Tannen duftet. Dazu der Ausblick, ich fühle mich wie im Paradies. Da du vorhin John erwähnt hast, ist er im Lande?“

„Nein. Erst gestern habe ich bei seinem Haus vorbeigeschaut, es war nur der alte Akai da. Wir haben ein Gespräch mit Gesten, Händen und Füßen geführt. Immerhin habe ich herausgefunden, dass Akai nicht weiß, wo sich John zurzeit aufhält.“ Er lachte.

„Wahrscheinlich wieder bei dem Indianerstamm seiner verstorbenen Frau. Reiten, jagen, die Weiten der Prärie, das ist Johns Welt.“

Finn nickte. „Ich befürchte, dass er eines Tages für immer dortbleiben wird.“

„Das glaube ich nicht, denn es wird nicht lange dauern, bis alle Indianerstämme in Reservaten leben müssen, ob sie wollen oder nicht. Gegen die weiße Übermacht kommen sie nicht an.“

„Manchmal geniere ich mich, zur Rasse der Weißen zu gehören“, sagte Finn mit einem finsteren Blick.

„Ich verstehe, was du meinst. Die Gier der Weißen kennt keine Grenzen. Sie werden nicht ruhen, bis das Land der Indianer zu ihrem Land geworden ist.“

In das darauffolgende Schweigen hinein sagte Pat: Kannst du bereits abschätzen, wie die Ernte von Hopfen, Gerste und Weizen in diesem Jahr nach den Überschwemmungen im Januar ausfallen wird?

Finn kreuzte seine Beine zum Schneidersitz. „Das Wachstum ist schlechter, wir müssen mit weniger Ertrag rechnen.“

„War zu erwarten, schlimmstenfalls müssen wir dazukaufen – das ist kein Beinbruch. Zu etwas anderem, was mir am Herzen liegt. Ich brauche deinen Rat.“

„Worum handelt es sich?“

„Um Ciara und ihren Vater. Ich sprach vorhin davon, dass Britta und ich die Reise mit Mrs. Wood und einem lieben Freund gemacht haben. Der liebe Freund ist ihr Vater. Er ist hier – hier in Oregon City.“

„Heiliger Bimbam!“, rief Finn aus und verdrehte die Augen zum Himmel.

„Er meinte, ein Treffen zwischen Ciara und ihm müsste gut vorbereitet werden. Daher ist er vorderhand in Oregon City geblieben.“

„Gelobt sei Jesus Christus. Ciara hätte ihn wahrscheinlich hochkant hinausgeworfen. Du kennst nur die liebe, fröhliche, hilfsbereite Ciara, die stets etwas Positives auf der Zunge hat. Ich kenne auch die andere Seite ihres Wesens, die sie vor anderen Menschen versteckt.“

Du kennst nur die liebe, fröhliche, hilfsbereite Ciara, die stets etwas Positives auf der Zunge hat. Ich kenne auch die andere Seite ihres Wesens, die sie vor anderen Menschen versteckt.“

Pat sah ihn erstaunt an. „Davon hast du noch nie gesprochen.“

„Ich sah keine Notwendigkeit dafür“, sagte Finn verhalten und wedelte mit der Hand. „Jeder Mensch hat seine guten und schlechten Seiten, wobei es immer im Auge des Betrachters liegt, was er als schlecht ansieht. Ciara ist eine Frau mit festen Grundsätzen, sie ist davon überzeugt, dass ihr Weg der beste ist. Eine andere Meinung akzeptiert sie selten. Meist versucht sie hartnäckig und subtil, den anderen auf ihre Seite zu ziehen. Meist gelingt es ihr, darin ist sie eine Meisterin. Lügen sind ihr ein Gräuel, das wäre an sich keine schlechte Eigenschaft, wenn nicht sie bestimmen würde, was die Wahrheit ist. Vergeben und vergessen sind Fremdwörter für sie.“

„Ich hatte immer den Eindruck, ihr versteht euch gut und seid glücklich miteinander.“

„Das war einmal. Sie hat sich nach und nach verändert, nicht zum Vorteil einer Partnerschaft. Es begann damit, dass sie die fixe Idee entwickelte, dass sie ein Kind will. Sie hat mich von einem Arzt zum anderen geschleppt, obwohl sie hätte wissen müssen, dass es nicht an mir liegen kann, denn ich hatte ja zwei Kinder. Die Ärzte konnten nicht feststellen, warum es bei uns nicht funktioniert. Sie und ich sind gesund, nichts spricht gegen ein Kind. Das letzte Jahr war mit ihr, es tut mir leid, das sagen zu müssen, schrecklich. Egal, ob ich Lust hatte oder nach der Arbeit todmüde war, wenn die Tage günstig für eine Empfängnis waren, musste ich mit ihr schlafen. Ich habe dir schon einmal davon erzählt, du hast gelacht, aber das ist nicht witzig – mit Zwang geht gar nichts. Sie ist frustriert, ich bin frustriert. Irgendwann sind mein Interesse und meine Liebe zu ihr gestorben und so wie sie sich mir gegenüber verhält, wird es bei ihr auch sein. Wir leben nebeneinanderher und wann wir das letzte Mal miteinander geschlafen haben, weiß ich nicht mehr. Ich habe auch keine Lust dazu.“ Jetzt weiß er Bescheid, wahrscheinlich hat er ohnehin schon gemerkt, dass zwischen Ciara und mir etwas nicht stimmt.

„Ich dachte schon, dass ihr Eheprobleme habt“, sagte Pat und bestätigte damit Finns Vermutung. „Was willst du dagegen tun?“

„Nichts. Ich achte auf mich, sie achtet auf sich und gemeinsam zeigen wir unseren Bekannten und Freunden ein freundliches Gesicht und tun so, als wäre alles in Ordnung.“

„Finn, ich kenne dich, ich kenne dich gut und ich spüre, wenn du mit etwas hinter dem Berg hältst. Was ist es?“

Finn fühlte sich in die Enge getrieben. Er presste wie ein bockiger Junge die Lippen zusammen und vermied Pats Blick.

Pat packte ihn an der Schulter. „Verdammt rede! Sag mir, was Sache ist. Wir haben uns immer alles erzählt und gegenseitigen Rat gesucht.“

„Ich will keinen Rat.“

„Schön, dann nicht“, sagte Pat und hörte selbst, wie bitter seine Stimme klang. Seine gute Laune verschwand schlagartig.

Ich kann, ich darf es ihm nicht sagen. „Pat, du weißt, dass ich dir vertraue, schaue mich nicht so enttäuscht an. Es stimmt, ich habe ein Problem. Nur so viel, ich habe eine Schuld auf mich geladen, die von Beginn an feststand. Und jetzt zieht die erste Lüge, die zweite nach und die hundert nächsten.“ Finn seufzte und fuhr sich verzweifelt mit den Händen durchs Haar.

In Pat stieg Mitleid auf. „Wer ist ohne Schuld? Wir sind alle nur Menschen, Menschen, die Fehler machen, niemand ist perfekt.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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