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Renate Lehnort 

 

 

Stunde der Demaskierung

 

Drei Kriminalromane in einem Band

 

 

 

BLICK INS BUCH:

 

Die Falle schnappt zu

 

Das Fallbeil fiel Ende Februar an einem unfreundlichen, nasskalten Donnerstag. Nina hatte sich an diesem Tag freigenommen, um endlich wieder einmal zur Kosmetikerin und zum Friseur zu gehen. Theo vergaß, den Wecker am Abend davor einzuschalten, und verschlief prompt. Er erledigte im Eilzugstempo seine Morgentoilette, trank im Stehen einen Kaffee, küsste Nina, die noch schlief, zart auf die Wange und eilte zu seinem Auto. Im Gehen entsperrte er das Auto mit dem Autoschlüssel, blieb auf der Straße neben der Fahrerseite stehen und wollte die Autotür öffnen. Im selben Augenblick hielt ein Lieferwagen neben ihm, zwei maskierte Männer sprangen heraus und zerrten ihn trotz heftiger Gegenwehr in den Laderaum des Fahrzeugs. Ehe er sich versah, spannte sich über seinen Mund, die Hand- und Fußgelenke ein Klebeband und ein Sack stülpte sich über seinen Kopf. Kaum war das geschehen, hörte Theo, wie die Autotüren mit einem lauten Knall zufielen, gleich darauf setzte sich der Wagen in Bewegung.
Theo rang durch die Nase nach Atem und spürte, wie die Panik in ihm hochstieg. Sein Herz schlug wie ein Schmiedehammer, Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn und sein Magen fühlte sich an, als hätte er einen Eisklumpen verschluckt. Das Auto fuhr zügig und je länger es fuhr, desto mehr trat Theos Verstand in den Vordergrund. Krüger hat zwei Morde begangen, warum sollte er vor einem dritten zurückschrecken, dachte er. Nina ruft mich immer um die Mittagszeit an, sie wird von meiner Sekretärin erfahren, dass ich nicht ins Büro gekommen bin. Daraufhin wird sie hoffentlich Niko anrufen, nein, sie wird ganz bestimmt Niko anrufen. Bis jetzt müssen wir in der Stadt unterwegs gewesen sein, denn das Auto stoppte oft. Aber jetzt fährt es rasant, heißt, wir sind auf der Autobahn oder auf einer Schnellstraße.
Nach einer Theo endlos erscheinenden Zeit merkte er, dass sich die Geschwindigkeit verringerte, das Auto schien jetzt auf einer unebenen Straße zu fahren. Plötzlich wurde er unsanft von einer Seite zur anderen geschoben. Kurven, Kurven auf einer steinigen Straße. Bringen die mich auf einen Berg? Zu einer einsamen Hütte vielleicht, wenn das stimmt, findet mich Niko nicht in hundert Jahren. Sein Mut sank ins Bodenlose.
Ein harter Ruck und die Räder standen still. Theo hörte Stimmen, er verstand kein Wort und tippte auf Rumänisch oder Russisch. Ein Geräusch vor ihm, die Wagentüren wurden scheinbar geöffnet, denn er spürte einen Luftzug. Gleich darauf fühlte er, wie jemand die Fußfesseln löste, Hände unter seine Achseln griffen und ihn unsanft aus dem Auto beförderten. Er kam zum Stehen und jemand nahm ihn unter dem Arm. Dann folgte ein harter Schlag in seinen Rücken und eine tiefe Stimme mit ausländischem Akzent sagte im gleichen Moment: „Du gehen!“ Er wurde einen Weg entlang dirigiert, der uneben und steinig war, es roch nach Tanne – niemand sprach. „Stopp“, sagte dieselbe Stimme von vorhin plötzlich. Theo hörte, wie etwas quietschte – das ist eine Tür, dann knarrte es unter seinen Schuhen – Holzboden. Nach ein paar Schritten wurde er auf einen Sessel gedrückt, ein Messer durchschnitt seine Handfesseln. Die Dinger bin ich wenigstens los.
Er hatte sich zu früh gefreut, seine Arme wurden grob hinter die Sessellehne gezogen und seine Hände an den Handgelenken zusammengebunden. Durch die straffe Fessel war er gezwungen aufrecht zu sitzen und nachdem auch seine Fußfesseln erneuert worden waren, konnte er sich keinen Millimeter bewegen. Dazu kam das Klebeband um seinen Mund und der Sack, der über seinen Kopf gestülpt war – er bekam kaum Luft. Ich ersticke, er lässt mich auf seinem Rachefeldzug langsam hier ersticken. Doch dem war nicht so, der Sack wurde angehoben, ein stechender Schmerz durchzuckte ihn, als jemand das Klebeband mit einem Ruck von seinem Mund riss und in derselben Sekunde den Sack wieder herunterzog. 
„Du schreien, macht nix, kein Aas da“, sagte die Stimme mit dem ausländischen Akzent von vorhin.
Theo hörte Schritte, die hinter ihm stoppten. Der Sack wurde von seinem Kopf gezogen und gleich darauf fiel eine Tür zu und ein Schlüssel drehte sich im Schloss.
Er blinzelte, der Raum war düster – er war allein.
Seine Augen passten sich an das diffuse Licht an, er wandte den Kopf dort und dahin. Lichtschein durch geschlossene Fensterläden, Bauernmöbel, Geweihe, ausgestopfte Tiere, registrierte sein Gehirn. Jagdhütte. Nichts zu hören, will er mich hier verhungern lassen? Nein, das ist nicht sein Stil. Er wird kommen und mit seinen Taten prahlen. Mir haarklein berichten, wie er Richter Mach und Sabine getötet hat und sich an meiner Hilflosigkeit weiden. Erst danach wird es für mich gefährlich werden, wahrscheinlich hat er sich für meinen Tod etwas besonders Perfides ausgedacht. Angst stieg in ihm hoch, er spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Seine Kehle fühlte sich wie Sandpapier an, Durstgefühl und seine Blase quälten ihn. Um sich abzulenken, stellte er sich vor, was Niko machen würde: Er wird eine Fahndung veranlassen. Brausewetter wird sich einschalten und ein Team zusammenstellen. Niko wird sicher dabei sein, er kennt Krüger schließlich wie kein Zweiter. Vielleicht hat mich jemand gesehen, wie ich in das Auto gezerrt wurde. Niko wird nach Hinweisen suchen, wo ich sein könnte, und irgendwann wird er mit seinem Team auf die Spur zu dieser Hütte im Wald stoßen – die Frage ist nur wann.
Irgendwann fielen Theo vor Erschöpfung die Augen zu, als er sie wieder öffnete, merkte er, dass die Dämmerung eingesetzt hatte. Der kleine Lichtstrahl, der durch die Ritzen der Fensterläden kam, war dunkler, nach und nach verschwand er ganz – Dunkelheit und Stille umhüllten ihn. Er wurde hellwach, als er hörte, dass sich der Schlüssel im Türschloss drehte, gleich darauf spürte er einen Luftzug und nahm schwere Tritte wahr, die auf ihn zukamen. Jemand band ihm etwas vor die Augen.
„Wir haben Auftrag, Staatsanwalt gut zu behandeln“, radebrechte dieselbe Stimme von vorhin. Eine Flasche wurde an seinen Mund gehalten – er trank gierig. Etwas, was nach Brot roch, ebenso – er drehte den Kopf weg.
„Du nicht essen, egal“, sagte die Stimme im gleichgültigen Tonfall.
Ein heißer Atem streifte sein Genick, jemand machte sich an seinen Händen zu schaffen – die Fesseln wurden gelöst. Hunderte Ameisen schienen ihn an Händen und Armen zu beißen, automatisch schüttelte er sie aus. Noch bevor das Kribbeln ganz verschwunden war, wurden seine Hände erneut, dieses Mal vor seinem Körper zusammengebunden. Verdammter Mistkerl, wenn ich jetzt nicht gleich pinkeln kann, mache ich in die Hose. Zwei Hände fummelten an seinen Fußfesseln herum, dann folgte der Befehl: „Aufstehen.“ 
„Ich muss auf die Toilette“, sagte Theo.
Der Sack wurde über seinen Kopf gestülpt, er wurde vorwärts gestoßen, gleich darauf spürte Theo einen kalten Luftzug. Ich bin im Freien. „Geh weiter“, befahl der Mann und stoppte ihn schließlich mit einer Handbewegung. Die folgende Handlung trieb Theo die Schamröte ins Gesicht – der Mann zog ihm Hose und Unterhose bis zu den Knöcheln herab. Er wird doch nicht meinen Penis angreifen, dachte er entsetzt.
Diese menschenunwürdige Tat blieb ihm erspart. „Du jetzt pinkeln“, sagte der Mann und Theo stellte erleichtert fest, dass seine Hände genügend Reichweite hatten, um das zu tun.
Ein Gefühl der Erleichterung durchrieselte ihn, als er seine Blase entleerte. Ohne ein Wort wurden ihm seine Hosen wieder hochgezogen. Ein Stoß in den Rücken zeigte ihm, dass er gehen sollte.
Mutlosigkeit überfiel ihn, als die Tür hinter ihm wieder ins Schloss fiel. „Geh, geh“, befahl die raue Stimme. Er ging vorwärts und stieß an ein Hindernis. Der Befehl „Umdrehen, setzen“ folgte. Er tat es, gleich darauf wurden seine Beine angehoben, er lag wie ein hilfloser Käfer auf dem Rücken. Seine Füße wurden wieder zusammengebunden, der Sack wurde von seinem Kopf entfernt. Das änderte nichts, es war stockdunkel. Die schweren Tritte entfernten sich, er hörte wieder das Quietschen und das Zufallen der Tür und das Geräusch des Schlüssels im Schloss. Stille und Schwärze umgaben ihn, er wälzte sich mühsam auf die Seite und schlief, von den Aufregungen des Tages geschafft, fast auf der Stelle ein. 

 

 

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