Kontakt

RenateLehnort@gmail.com

www.renatelehnort.com

Facebook >>

 

Renate Lehnort 

 

 

Sinfonie des Teufels

 

Trommelwirbel

 

Band 6: 1942 – 1944

Historischer Roman

 

 

 

„Aug um Aug – und die ganze Welt wird blind sein.“

Mahatma Ghandi

 

BLICK INS BUCH:

 

„Du hast es also doch getan!“, sagte Rudi statt einer Begrüßung.

Otto zog die Augenbrauen in die Höhe. „Was habe ich getan?“

„Zurück nach Berlin zu kommen. Ich dachte, nein ich habe für dich gehofft, du bleibst in der Schweiz.“

„Ich hatte mir einen wärmeren Empfang erwartet“, lachte Otto. „Ganz du, immer gleich mit der Tür ins Haus.“

Rudi grinste. „Entschuldige, du hast natürlich recht – wie unhöflich von mir. Ich persönlich freue mich natürlich, dich wiederzusehen. Schon allein deswegen, weil ich mit niemandem so offen reden kann wie mit dir. Wie war es in New York?“

„So weit, so gut“, sagte Otto und neigte den Kopf von einer Seite auf die andere. „Ich erzähl dir gleich davon, zuerst machen wir es uns gemütlich. Willst du etwas essen oder etwas Spezielles trinken? Ich bestelle alles, was dein Herz begehrt. Hier im Adlon kann man das ja noch.“

„Die Betonung liegt auf noch“, sagte Rudi und nahm auf dem mit geblümtem Brokatstoff bespannten Sessel Platz. „Essen möchte ich nichts, aber ein Glas Rotwein wäre fein.“

In einer Hand das Rotweinglas, in der anderen eine Zigarette sprach Otto schließlich von seinem Aufenthalt in New York und ließ dabei nichts aus. Am Ende sagte er: „Meine liebe Familie hat mir somit keine Segenswünsche mitgegeben.“

„Verständlich. Sie können deine Motivation nicht nachempfinden. Du hast kein Wort über Anna gesagt, Hogär muss ihr wie das Paradies schlechthin vorkommen.“ 

„Sie ist aus dem Paradies geflüchtet und wieder hier in Berlin“, sagte Otto trocken.

„Ist sie verrückt geworden? Warum in drei Teufels Namen hat sie das getan?“

„Bevor ich dir den Grund sage, muss ich etwas vorausschicken. Wir sind noch vor meiner Abreise nach New York ein Paar geworden.“ Er grinste, denn Rudis blaue Augen quollen förmlich aus den Höhlen.

„Du bist mir einer“, stotterte er. „Du mit einer Jüdin? Das hätte ich nicht ge…“

Zwei Zornesfalten bildeten sich über Ottos Nasenwurzel. „Du hast offenbar von dem Nazi-Pack angezogen.“ 

„So habe ich es nicht gemeint“, murmelte Rudi und wich Ottos Blick aus.

„Hast du nicht? Wie dann?“

„Es tut mir leid, war eine blöde Bemerkung – entschuldige“, erwiderte Rudi und schien plötzlich das Muster auf dem Fußboden überaus interessant zu finden, während er murmelte: „War nicht bös gemeint, ich war, wie soll ich sagen? Verwirrt. Sie könnte deine Tochter sein.“ 

„Das stimmt und deshalb habe ich nie den Versuch unternommen, sie zu verführen. Unser Zusammensein hat sich … “, er schwieg und suchte nach dem passenden Wort. „… ergeben. Vor ihr habe ich nur eine Frau wirklich geliebt und das war, wie ich dir erzählt habe, Elisabeth. Ihr Tod hatte mich völlig aus der Bahn geworfen und ich hätte nie gedacht, dass mir so eine Liebe nochmals begegnen würde. Es hat mich wie ein Blitzschlag getroffen und, das empfinde ich wie ein Wunder, sie liebt mich ebenso wie ich sie.“

„Aus diesem Grund hättest du ihr verbieten müssen, hierher zu kommen. Ich wage gar nicht, daran zu denken, was die Gestapo mit ihr macht, wenn sie erwischt wird.“

„Das ist ihr bewusst. Deswegen ist sie als eine Frau zurückgekehrt, die durch und durch ein Nazi ist. Anna Mendel gibt es in Berlin nicht mehr.“

„Sprich nicht in Rätseln, sag, was Sache ist!“ 

„Anna Mendel hat sich in eine Frau verwandelt, die laut ihren Papieren ein NSDAP-Mitglied ist. Warum? Weil sie ebenso wie du und ich für die Amerikaner spionieren wird.“

„Ist nicht wahr!“, stieß Rudi hervor und trank sein Weinglas aus. „Warum macht sie das?“

„Weil sie, wie du richtig festgestellt hast, Jüdin ist. Sie will mithelfen, Hitler zum Teufel zu jagen, warum, weißt du selbst.“ Otto hob sein Weinglas. „Möge unser aller geliebter Führer“, sein Zynismus war unüberhörbar, „bald seine Bekanntschaft machen.“ 

„Dem schließe ich mich an“, sagte Rudi und stieß sein Glas gegen Ottos. „Nochmals zurück zu Anna. Du weißt so gut wie ich, auch wenn sie ausgezeichnete gefälschte Papiere hat, dass ihr Risiko enorm ist.“

„Sie ist sich dessen bewusst und trägt wie wir an einer Halskette eine Zyankalikapsel.“ Aus dem Nichts tauche plötzlich vor Otto das grässlich verzerrte Gesicht seines verstorbenen jüdischen Schwiegersohnes Jakob auf, der mit Zyankali Selbstmord verübt hatte. Ein metallischer, bitterer Geschmack breitete sich in seinem Mund aus – er spülte ihn mit einem Schluck Wein hinunter. „Glaub mir, Rudi, ich habe alles versucht, dass sie auf Hogär bleibt – keine Chance.“ 

„In meinen Augen ist es von den Amerikanern schamlos, milde ausgedrückt, eine Frau für Spionagezwecke einzuspannen“, sagte Rudi empört.

Ein kurzes Lächeln erhellte Ottos Gesicht. „Es war umgekehrt“, sagte er.

„Was heißt umgekehrt?“

„Anna hat die Amerikaner geradezu bekniet, sie als Spionin nach Berlin zu schicken. Ich habe ihr in einer schwachen Stunde den Grund genannt, warum ich wieder hierher fahre. Sie war hellauf begeistert und nicht mehr davon abzubringen, ebenfalls zu spionieren. Ich habe Stunden damit verbracht, es ihr auszureden.“

„So sind sie, die Frauen, haben sie sich etwas vorgenommen, können wir uns jeden Widerspruch sparen“, sagte Rudi mit einem schwachen Lächeln. „Ich bewundere ihren Mut, sie hat meinen Respekt.“ Das Lächeln verschwand. „Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal jemandem, der gegen unser Land arbeitet, meine Referenz erweisen und nie, dass ich selbst zum Verräter werden würde.“

Otto warf ihm einen prüfenden Blick zu. Rudis normalerweise energetisch strahlende Augen waren glanzlos, um seinen Mund hatten sich tiefe Falten gebildet, sein weißblondes Haar war schütterer geworden. Er ist nur ein Jahr älter als ich, dachte Otto,und wirkt wie ein Greis … wäre er ein Fremder, ich würde ihm 10 Jahre mehr geben „Du siehst erschöpft aus. Geht es dir gesundheitlich nicht gut?“

„Gesundheitlich schon, meine Krankheit sitzt hier“, er klopfte mit der Faust auf seine Brust. „Ich höre, ich lese, ich arbeite und könnte andauernd kotzen. Die Winteroffensive in Russland war für den Arsch und die Sommeroffensive wird das ebenso sein. Bei einer Frontüberdehnung von über 2.000 Kilometern Länge mit dazwischen verwundbaren Lücken kann es nicht anders sein. Jedem, der nur ein bisschen Grips in seinem Kopf hat, ist klar, dass der Nachschub nicht funktionieren wird – nicht funktionieren kann. Auf der einen Seite wird in Stalingrad um jede Straße gekämpft, auf der anderen Seite um die kaukasischen Ölfelder. Von wegen, der Kampf gegen die Sowjetunion wird ein Blitzkrieg. Tausende Soldaten gehen zugrunde und der Führer hat außer der Neugestaltung von Städten nichts in seinem Schädel.“ Er gab einen Ton von sich, der Otto an ein in die Enge getriebenes Tier erinnerte. Es war kein zorniges Schnauben, eher ein klägliches Fauchen. 

 

 

 

 

 

 

Druckversion | Sitemap
© Copyright Renate Lehnort 2017 Die hier veröffentlichten Texte einschließlich der Leseproben sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten.