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Renate Lehnort

Ich muss töten -

Horst Rabe ermittelt

 

Thriller

 


 

BLICK INS BUCH:

Das Handy auf dem Nachttisch schrillte erbarmungslos. Verschlafen tastete Major Horst Rabe, seines Zeichens Ermittlungsbereichsleiter des Landeskriminalamtes Wien für Leib/Leben, nach dem Störenfried und warf gleichzeitig einen Blick auf die Uhr. Mein Gott erst 05:30 dachte er und meldete sich mit einem brummigen „Was ist los?“, während sein schwarzer Kater mit einem Satz auf seine Brust sprang und eine Streicheleinheit forderte. 
„Guten Morgen Chef“, antwortete der diensthabende Gruppenführer, Chefinspektor Leo Gruber. „Wir haben eine Leiche – bin schon vor Ort.“
„Wo?“
„Floridsdorf, im Denglerpark. Ich nehme an du willst herkommen?“
„Das nimmst du richtig an“, murmelte Horst. „Wo genau ist es?“
„Du fährst die Kleingartensiedlung entlang bis zum Ende des Parks.“
„Frau oder Mann?“, fragte Horst und stand, das Handy mit der Schulter ans Ohr geklemmt, auf. Auf einem Bein balancierend fuhr er in seine Boxershorts.
„Junge Frau, kein schöner Anblick.“
„Wann ist es das schon“, seufzte Horst, langte nach seiner Jeans, murmelte „Bin in 30 Minuten da“ und drückte seinen Gesprächspartner weg. 
Nach einem Blick aus dem Fenster stellte er fest, dass sich das Wetter gebessert hatte, der Himmel war zwar grau, aber es hatte zu regnen aufgehört. Er kommentierte diese Tatsache mit einem „Wenigstens etwas“ und latschte mit seinen ausgeleierten Pantoffeln ins Badezimmer. Dort klatschte er sich kaltes Wasser ins Gesicht, während Carlo miauend um seine Beine strich. Der erhoffte Effekt stellte sich blitzartig ein, seine Müdigkeit verflog und machte einer wachen Munterkeit Platz. Nach einem prüfenden Griff auf sein Kinn und einen neuerlichen Blick auf die Uhr beschloss er, auf das Rasieren zu verzichten. Unter dem aufmerksamen Blick seines Katers streifte er das hellblaue Hemd vom Vortag über. Als er es zuknöpfte, fiel ihm auf, dass auf der Vorderseite ein großer Fleck prangte. Mit einem Fluch zog er es wieder aus und wählte stattdessen ein schwarzes. Die im Schrank hängenden Krawatten ignorierte er.
Das Miauen wurde lauter, als er das Schulterholster umlegte, seine Pistole aus dem Safe nahm und sie an ihren Platz steckte. „Sei still Carlo“, befahl er. „Du bekommst gleich dein Fressen.“ Gemeinsam marschierten sie in die Küche, Minuten später hörte das Miauen schlagartig auf. 
Horst tat das, was für ihn um diese Zeit am Wichtigsten war, er drückte auf den Knopf der Kaffeemaschine. Ungeduldig wartete er, bis die Tasse voll war, verbrannte sich beim ersten Schluck die Zungenspitze und stieß abermals einen Fluch aus. Scheißtag, dachte er, während er mit der Kaffeetasse in der Hand ins Vorzimmer ging und dabei den Rest austrank. „Sei schön brav, Carlo“, sagte er, während er den Kater mit einer Hand hinter den Ohren kraulte und mit der zweiten nach seinem Sakko griff. 
Mit einer Zigarette im Mund trat er auf die Straße. Ein eisiger Wind blies ihm mitten ins Gesicht und veranlasste ihn dazu, den Kragen seiner Winterjacke hochzustellen. Auf dem Weg zu seinem Auto verwünschte er innerlich den Parkplatzmangel und gab einen erleichterten Atemzug von sich, als es in Sicht war. Wenig später ließ er sich auf den Fahrersitz fallen und fuhr sich mit zehn Fingern durch seine zerzausten braunen Haare, ehe er mit einem Handgriff das Blaulicht auf das Dach setzte und losfuhr. Seine Laune besserte sich schlagartig, als die anderen Verkehrsteilnehmer wie aufgescheuchte Hühner vor ihm zur Seite flitzten.
Als er mit Schwung am Ende des Denglerparks einparkte, zeigte ihm die Uhr, dass er trotz des dichten Verkehrs statt der geschätzten halben Stunde nur eine Viertelstunde gebraucht hatte. Mit dem Blick auf das weiße Zelt, das offenbar wegen der unsicheren Wetterlage am Tatort aufgebaut worden war, stieg er aus und patschte mitten in eine tiefe Pfütze. „Verdammt noch einmal!“, fauchte er, schüttelte das Regenwasser von seinem Schuh ab und blickte, als er aufsah, direkt in das grinsende Gesicht von Leo – er ignorierte es.
„Guten Morgen Herr Major!“, sagte Leo im munteren Tonfall.
„Verarschen kann ich mich selbst“, grummelte Horst und nahm aus seiner Hand den obligaten weißen Overall samt Überschuhe entgegen. Wie kann man um diese Zeit so fröhlich sein? Ich hasse das, dachte er und warf Leo einen unfreundlichen Blick zu. 
Leo schien ihn nicht zu bemerken. „Da hinten ist es“, erklärte er und wies auf die weiße Plane.
Horst begnügte sich mit einem Nicken, streifte die Schutzkleidung über und fuhr in die dünnen Gummihandschuhe, die er immer bei sich trug. Als Leo das Polizei-Absperrband vor ihm hochhob, um ihm den Zugang zum Tatort zu erleichtern, war er beileibe nicht dankbar dafür – im Gegenteil. Er schluckte die Worte „Deine Beflissenheit geht mir manchmal wirklich auf den Sack“ gerade noch hinunter. Je näher er auf dem „Trampelpfad“ – den vom Tatortverantwortlichen freigegebenen Weg – zum Tatort kam, desto mehr wurden die nummerierten Täfelchen, die zur Sicherung der Spuren im Rasen steckten. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass die Männer der Spurensicherung eifrig wie Ameisen im Uhrzeigersinn den Tatort absuchten, fotografierten und Skizzen anfertigten.
„Servus Thomas“, begrüßte er den kleinen wohlbeleibten Mann, der ihm entgegenkam. „Bist du heute der Tatortverantwortliche?“
Thomas nickte. „So ist es“, antwortete dieser mit einem schiefen Lächeln.
„Was haben wir?“
„Junge Frau – erwürgt. Schaut nach Sexualverbrechen aus. Ein gewisser Johannes Hofer, ich habe ihn schon befragt, hat sie gefunden, als er mit seinem Hund spazieren ging. Du hast die Sachverhaltsmappe heute Nachmittag auf deinem Schreibtisch.“
„Weiß man schon, wer die Frau ist?“ 
„Ja, der Leiter der Spurengruppe hat ihren Ausweis. Ich sag ihm, dass er dir die Daten geben soll. Bleibst du oder Leo bis zur Tatortfreigabe hier?“
„Leo.“
„Auch gut.“ Thomas Moser wedelte flüchtig mit der Hand, murmelte „Wir sehen uns“ und ging zu dem auf dem Boden hockenden Tatortbeamten, der ein Foto nach dem anderen schoss.
Als Horst das Zelt betrat, hob eine Frau, die vor der Leiche kniete, den Kopf – man sah nur ihre grünen Augen. Sie begrüßte ihn mit der Bemerkung „Kein schöner Anblick, was?“ 
Ihre Stimme klang durch den Mundschutz dumpf an Horsts Ohr. Er negierte die Frage, da er damit beschäftigt war, den Kaffee in seinem Magen zu behalten. Schließlich brachte er ein „Kannst du schon Näheres sagen?“ hervor.
„Nur so viel“, antwortete Dr. Lena Sanderson, die Gerichtsmedizinerin, „sie wurde mit einem Gegenstand niedergeschlagen und dann in einer Art und Weise erwürgt, die qualvoll war – kein schneller Tod. Der Täter, und ich gehe davon aus, dass es ein Mann war, wusste offenbar, wie er es anstellen musste, um sie zu quälen. Er hat die beiden vorderen Schlagadern, die das Blut ins Gehirn führen, abgedrückt, dort lag seine Kraft, nicht am Kehlkopf – zumindest ist das meine erste Einschätzung … sie kann sich noch ändern.“
„Todeszeitpunkt?“
Dr. Sanderson hob einen Arm der Toten. „Die Totenstarre ist noch nicht voll ausgeprägt, die Totenflecken blieben auch nach Lagewechsel bestehen … das heißt, sie sind schon in den Gefäßen fixiert. Ich schätze gegen Mitternacht.“
„Vergewaltigt?“
„Kann, muss aber nicht sein, die gespreizten Beine sagen noch nichts aus. Ihr Anus ist mit einem Gegenstand, vielleicht derselbe, mit dem sie auch niedergeschlagen wurde, penetriert worden. Ob post mortem oder nicht, weiß ich erst, wenn ich sie auf dem Tisch habe. Sie hat außer den Würgemalen auch noch Wunden am Nacken, ich tippe darauf, dass ihr der Mörder eine Halskette heruntergerissen hat.“ Sanderson klappte ihren Metallkoffer zu und erhob sich mit den Worten „Ich für meinen Teil bin hier fertig, ihr könnt sie wegbringen lassen.“ Als Horst den Mund aufmachte, fuhr sie ihm in die Parade: „Ich weiß, du willst den Befund gestern, ich kann aber nicht zaubern, ich ge…“
„Du weißt doch Lena, je schneller wir den Befund haben, desto schn…“
„Ruf mich am Abend in der Gerichtsmedizin an“, fiel ihm Dr. Sanderson abermals ins Wort. „Vielleicht habe ich dann schon etwas, aber versprechen kann ich es nicht.“ Sie zog den Mundschutz herunter und wandte sich zum Gehen. 
„Danke dir“, rief ihr Horst nach, ihre Antwort war ein müdes Winken.
„Eigenartig, wie der Mörder die Wäsche und ihren Kopf drapiert hat“, bemerkte Horst zu Leo und kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Ich erinnere mich, dass wir so etwas schon einmal hatten, ich glaube, das war in etwa vor fünf Jahren … aber ich weiß nicht mehr wo.“
Leo nickte. „Jetzt, wo du es sagst … Das war damals, als wir gerade den Fall Lars Krüger abgeschlossen hatten, du weißt, der einen Doppelgänger für sich ins Gefängnis gesetzt hat, den Staatsanwalt entführt und so eine Flucht von uns nach Kasachstan erpresst hat.“ 
„Genau“, brummte Horst und fragte sich im selben Moment wie schon so oft, warum sein Freund Theo sich nur einmal und dann nie mehr nach seiner Kündigung als Staatsanwalt bei ihm gemeldet hatte. Ein paarmal hatte er versucht den Kontakt wieder herzustellen, es aber dann, nicht zuletzt aus Bequemlichkeit, gelassen.
Der Leiter der Spurengruppe, Helmut Wallner, dessen Aussehen auf Vorfahren in Italien schließen ließ, kam auf ihn zu. „Thomas hat mir mitgeteilt, dass du die Daten des Opfers gleich haben willst“, sagte er und wedelte mit einem Ausweis vor Horsts Nase herum. „Der war in ihrer Handtasche. Wir haben sie dort gefunden, wo sie höchstwahrscheinlich niedergeschlagen wurde.“
Als Horst den Führerschein aufklappte, lachte ihm eine junge Frau mit langen blonden Haaren und blauen Augen entgegen. „Ein Jammer“, seufzte er. „So eine hübsche Frau … war erst 24 Jahre … Monika Baldauf … wohnte ganz in der Nähe, Karl-Kramm-Gasse 19.“ Er hob den Kopf und sah Wallner eindringlich an. „Ihr beeilt euch doch mit den Auswertungen der Spuren?“ 
„Das tun wir – wie immer. Aber ich kann dir jetzt schon sagen, durch den Regen werden wir nicht wahnsinnig viel verwertbares Material finden. Was wir allerdings gefunden haben, ist ein gut sichtbarer Schuhabdruck unter dem Baum, wo sie getötet wurde. Der Fundort der Leiche ist nicht der Tatort.“
Horst nahm diese Auskunft mit einem Kopfnicken zur Kenntnis, schrieb die Daten in sein Notizbuch und drückte Helmut den Ausweis wieder in die Hand.
„Soll ich zu der Adresse des Opfers fahren?“, bot sich Leo an.
„Mir ist lieber, du bleibst bis zur Tatortfreigabe hier, ich nehme die neue Kollegin mit, da kann sie gleich etwas lernen“, erwiderte Horst wohlwissend, dass der Chefinspektor zwar ein ausgezeichneter Kriminalist, aber keine sehr einfühlsame Seele war.
Als er mit Inspektorin Agnes Bauer zu seinem Auto ging, musste er sich durch eine nicht gerade kleine Anzahl von gaffenden Leuten zwängen. Ein mittelgroßer Mann in abgewetzten Jeans und knielangem dunkelblauem Anorak rempelte ihn an und entschuldigte sich höflich.

 

 

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